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Dienstag, 30. August 2011

... dass das Feuer nie aufhört zu brennen


Am letzten Samstag im August entzünden die Menschen an der Ostseeküste Hunderte von Feuern, um gemeinsam den Sommer zu verabschieden und die „Nacht der alten Lichter“ zu feiern. Also bin ich nach Sonnenuntergang an den Strand von Kadriorg gefahren, denn auch dort hatten sich einige Dutzend Menschen zusammengefunden und ein Feuer entfacht, Fackeln in den Sand gesteckt und Windlichter in den Dünen verteilt.

Lagerfeuer haben es sowieso so an sich, dass man zu gerne in sie hinein starrt und das lodernde Spiel der Flammen beobachtet, um hier und da einen Gedanken zu entdecken, dem man nachhängen kann. Wenn sich gleichzeitig der Sommer zurückzieht und die dunkle Nacht die Erde überspannt, muss man ein leichtes Frösteln schon verscheuchen. Vielleicht auch deshalb bemerkte ich besonders viele Paare. Die jüngeren standen umschlungen am Wasser. Die älteren saßen weiter hinten, zwischen den Dünen, hatten sich Kerzen mitgebracht und schauten schweigend hinaus aufs Meer, das als schwarzglänzende Fläche an den Strand schwappte.

Die Tradition der nächtlichen Feuer ist gleichzeitig sehr alt und sehr jung. Früher entzündeten die Menschen an der Küste Leuchtfeuer, um den Schiffen den Weg zu weisen, sie vor Gefahren zu warnen und in den sicheren Hafen zu lotsen. Die Idee, eine „Nacht der alten Lichter“ zu feiern, entstand 1992 in Finnland, zum 75. Jahrestag der Unabhängigkeit. Nach und nach verbreitete sich der Brauch in den Nachbarländern und so erhellten am Samstag nicht nur in Finnland Feuer die Nacht, sondern auch in Estland, Schweden, Russland, Lettland, Litauen und Polen.

Ein anderes Feuer außer „unserem“ am Strand von Kadriorg konnte ich zwar nicht erblicken. Aber ich wusste, was die Idee der Lagerfeuernacht ist, dass sie die Menschen rund um die Ostsee verbinden soll. Und so habe ich den Anflug von Wehmut genossen, weil ich mir vorstellte, dass ich ihn, so wie die Erinnerung an den Sommer, die Vorfreude auf den Herbst und das Unbehagen angesichts des schwarzen Meeres, mit anderen teile.

P.S. Wer zum Beispiel nächstes Jahr an der deutschen Ostseeküste ein Feuer entfachen will, sollte sich die Seite www.ancientlights.eu anschauen.

Freitag, 26. August 2011

Graffiti ohne Strick


Seit kurzem ein farbenfroher Hingucker am Kulturkilometer bzw. am Fischerhafen: Die Installation „KONT“, die zwei Wochen lang von Graffiti-Künstlern aus Estland, Frankreich, Italien, Polen und Brasilien gestaltet wurde. Wenn genug Menschen die Kunst bestaunt haben, reisen die Container weiter auf Schiffen und Lkws um die Welt.

Samstag, 30. Juli 2011

Es schüttet wie aus Kübeln

Die ganze Nacht schon prasselt der Regen auf das Fensterbrett und weckt mich immer wieder. Auch tagsüber schüttet es weiter, tiefhängende Wolken verstecken die Kirchturmspitzen und neben den Bürgersteigen fließen Bäche. Und das Allerbeste: In E-Estland ist das Internet kaputt – wahrscheinlich wegen des bisschen heftigen Regens. Ich kann nicht telefonieren, ich kann keinen Post online stellen, ich brauche keine E-Mails schreiben und nicht schauen, wie das Wetter morgen wird. Ich gehe spazieren, lasse den Wind meinen Regenschirm umstülpen, stapfe durch dicke Pfützen auf das marode Dach der Stadthalle. Nicht einmal die Angler haben sich heute nach draußen getraut. So stehe ich alleine dort oben und blicke aufs Meer. Grauer Himmel und graues Wasser gehen nahtlos ineinander über. Ich stecke den Schirm in die Tasche und so wie der Wind den Regen peitscht und pfeift erinnert er mich an schlechtes Wetter in den Bergen und ist für einen Moment ganz vertraut. Ich laufe langsam nach Hause. Kekse und Tee und Wolljacke wärmen mich und ich schreibe diese Zeilen und einen Beitrag zur Orgelnacht. Von mir aus kann es noch drei Tage weiter regnen, bitte, und das Internet genau so lange nicht funktionieren. Nichts können, nichts müssen, wie schön.


P.S. Aber natürlich hat das Internet, wie man sieht, nach ein paar Stunden wieder funktioniert.

Mittwoch, 20. Juli 2011

Weitergeschrieben

Eben habe ich den Post von gestern weitergeschrieben. Mir sind noch ein paar mehr Gedanken zur Beziehung zwischen Tallinn und dem Meer in den Sinn gekommen. Wenn das hier mein Tagebuch wäre (so mit Seiten, zum Umblättern) könnte ich meine Texte auch nach unten fortsetzen, also habe ich das heute mal so gemacht.

Dienstag, 19. Juli 2011

Nachtrag zu: Ahoi! (Und eigentlich nicht nur zu diesem Post.)


Aufgenommen unterhalb der Stadthalle (Linnahall). Ist Tallinn jetzt eine Stadt am Meer? Ich habe mir, so wie viele Gäste dieser Stadt, eher schwer getan, das Meer gleich auf Anhieb zu finden. Musste es erst suchen. Und manch einer denkt, dass Tallinn erst wieder eine Stadt am Meer werden muss. So ist es der Wunsch von Tallinn 2011, die Menschen ans Meer zurückzuholen. Weil die Verbindung zu diesem, so erklärt man das, durch die Sowjetherrschaft unterbrochen wurde.

Wenn ich mir dieses Bild anschaue und wenn ich daran denke, wie die Leute der Krusenstern hinterher geschaut haben, dann glaube ich, dass der Traum vom Meer uralt ist. Vielleicht war er stärker als Stacheldraht und Sperrgebiet? Vielleicht ist im Kopf der Menschen die Verbindung zum Meer auch während der Sowjetherrschaft nie abgerissen?

Physisch waren die Menschen in Tallinn während der Sowjetherrschaft vom Meer mehr oder weniger abgetrennt, das steht fest. Doch ich frage mich, ob sie dieses Abgetrennt-Sein überhaupt so stark empfunden haben. Da gab es einerseits schmerzvollere Erfahrungen als die, nicht ans Meer zu kommen. Andererseits ist der Traum vom Meer mit dem Traum von der Freiheit verwandt ...

Wahrscheinlich war den Menschen Sicherheit lange wichtiger als Freiheit. Ich weiß nicht, ob die Bewohner der Stadt in all den Jahrhunderten bis hin zum Zweiten Weltkrieg einen so engen Kontakt zum Meer hatten, wie wir ihn heutzutage anstreben. Vielleicht haben die meisten Bürger im alten Reval das Meer im Alltag ähnlich selten gesehen wie die Menschen im sowjetischen Tallinn? Das waren ja nicht alles Fischer und Handelsreisende. Vielleicht fühlten sie sich innerhalb der Stadtmauern ganz wohl, weshalb hätten sie am Meer spazieren gehen sollen.

Oder geht es gar nicht um den Traum vom Meer und von der Freiheit, sondern ganz schlicht um Naherholung? Stammt daher der Wunsch, dass, wenn eine Stadt am Meer liegt, dieses für alle jederzeit und schnell erreichbar sein möge?

Mir scheint, die Diskussion, ob Tallinn eine Stadt am Meer ist bzw. eine war und nun wieder eine werden muss, verrät mehr über uns selbst als über die Stadt.

Montag, 18. Juli 2011

Ahoi!

Die Meerestage haben allen gut gefallen. Drei Tage lange spazierten die Menschen am Kulturkilometer und rund um das neue Meeresmuseum und im Passagierhafen und im alten Hafen herum. Das Programmm war nett und größtenteils kostenlos und das Bild, was ich im Kopf behalten werde, ist dieses: Viele kleine Menschen auf großen Schiffen, umrahmt von bunten Signalflaggen, die fröhlich im Wind flattern, und der hellblaue Himmel und das dunkelblaue Meer leuchten um die Wette.


Der Moment gehörte auch zum Schluss der Meerestage der Krusenstern. Drei Tage lang war die Schlange vor dem Schiff nicht kleiner geworden. Und am Sonntagabend versammelten sich die Menschen nochmal am Kai, um die Krusenstern zu verabschieden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie im Vergleich zu den Besuchern des Konzerts, das gleichzeitig stattfand, in der Überzahl waren. Wieder ein dreifaches, kräftiges Tröten, die Schlepper ziehen das Schiff aus dem Hafen, ein paar Segelyachten schippern hinterher, bald schon hat die Krusenstern die Hafenmauern hinter sich gelassen und gleitet hinaus in die Bucht, dem Horizont entgegen. So stolz und elegant, da sind die Helsinki-Fähren, die sich im Halbstundentakt in den Hafen schieben, plumpe Pötte.


Ich habe gehört, dass die Krusenstern, als sie hier zehn Jahre lang im Hafen lag, den Menschen gar nicht so wichtig war. Ahoi, Krusenstern!

Samstag, 16. Juli 2011

Die Krusenstern in Tallinn


Das Bild ist ein bisschen geschummelt, ich gebe es zu. Aber ich muss es hernehmen, denn auf diesem Bild ist ein Mythos zu sehen.

Die Ankunft der Krusenstern war der Höhepunkt der Meerestage an diesem Wochenende. Nach zwanzig Jahren kam sie gestern wieder in die Stadt zurück, die von 1981 bis 1991 ihr Heimathafen gewesen war. Als sie pünktlich um 12 Uhr im Hafen einlief, begrüßte sie die Stadt mit einem dreifachen Hupen. Es gab einen Empfang mit allem Drum und Dran, Salutschüssen, Militärorchester und hochrangigen Gästen. Doch der größte Willkommensgruß waren Hunderte von Menschen, die sich auf dem Kai versammelt hatten, um das Schiff zu bestaunen. Ich weiß nicht, wie viele Stunden sie in der langen Schlange anstanden, um das Schiff zu besichtigen.


Unter den Wartenden war auch die Crew, die in den 1980er Jahren auf dem Schiff gearbeitet hatte. Für sie ist die Krusenstern die Erinnerung an gute Zeiten. Der wissenschaftliche Assistent des Kapitäns, der Ingenieur, die Maschinisten, die Ehefrauen, sie alle feierten das Wiedersehen, klopften sich auf die Schulter und tauschten alte Fotos aus. Manche hatten Blumensträuße mitgebracht, um sie ihren Kameraden zu schenken. Denn drei Besatzungsmitglieder von damals arbeiten noch heute auf dem Schiff.


Die Krusenstern ist der letzte der berühmten Flying-P-Liner der Reederei F. Laeisz, der noch im Einsatz ist. 1926 wurde das Schiff auf der Joh. C. Tecklenborg-Werft bei Bremerhaven vom Stapel gelassen – als Padua, denn traditionsgemäß begannen die Namen der Schmuckstücke der Laeisz-Flotte mit einem P. Und während die Schwesternschiffe, wie zum Beispiel die Pamir, untergegangen sind, oder, so wie die Passat in Travemünde, heute ein Dasein als Museumsschiff fristen, umsegelt der Windjammer, der einst Padua hieß, noch heute die Weltmeere. Als russisches Segelschulschiff gehört die Krusenstern nämlich seit 1991 zur Russischen Staatlichen Baltischen Akademie der Fischereiflotte, ihr Heimathafen ist seitdem Kaliningrad.


Mit seinem Namen erinnert das Schiff an die erste Weltumseglung unter russischer Flagge. Als es 1946 als Reparationsleistung an die Sowjetunion ging, wurde es dort nach dem deutschbaltischen Adligen Adam Johann von Krusenstern benannt. Der kam 1770 in der Nähe von Rappel (in Estland, heute Rapla) zur Welt und war von 1803 bis 1806 Leiter der erfolgreichen russischen Expedition. Das Grab von Krusenstern ist in der Domkirche und ich vermute, dass die Besatzung des Schiffs es gestern besucht hat, denn heute lagen zwei dicke Sträuße roter Nelken links und rechts des Grabsteins.

Die Krusenstern - das sind die dicht versponnenen und mitunter verworrenen Fäden der Geschichte von Deutschen, Russen und Esten.


Freitag, 1. Juli 2011

Was sich so tut

Schon ziemlich bald nach meiner Ankunft wurde ich von neugierigen Menschen (und insbesondere neugierigen Journalisten aus Brandenburg) gefragt, ob sich Tallinn in der Zeit, die ich schon hier verbracht habe, verändert habe. Und ob das am Kulturhauptstadtjahr läge. Ich fand diese Frage für mich zu früh. Natürlich hatte sich die Stadt verändert, doch das führte ich vor allem auf den Sommeranfang zurück.

Mittlerweile aber ist der 1. Juli, zwei Monate sind rum und ich habe Antworten auf diese Frage gefunden, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten will.

Eine besondere Sympathie hege ich ja von Anfang an für die Gegend rund um den Kulturkilometer. (Er wurde, wie mancher Leser noch weiß, Anfang Mai als Spazier- und Radweg auf einem alten Bahndamm eröffnet und gehört – natürlich – zu Kalamaja.) Regelmäßig bin ich dort unterwegs und bemerke, was sich so tut.

Unlängst hat zum Beispiel auf einem alten Fabrikgelände ein Gemeinschaftsgarten (Katlaaed) aufgemacht. Jeder, der will, bekommt kostenlos ein Stück Beet zur Verfügung gestellt, wenn er verspricht, dieses hübsch zu bepflanzen. Eine Feuerstelle gibt es schon, bald soll eine kleine Open-Air-Bühne dazukommen und vielleicht entsteht zwischen den alten Mauern eine grüne Oase.

Nahezu rund um die Uhr sind die Arbeiter am Meeresmuseum auf den Beinen. In drei großen Hangars, die früher Wasserflugzeuge beherbergten, sollen Schiffe ausgestellt werden. Eigentlich hätte das Museum im Mai eröffnet werden sollen, nun ist November angepeilt, was die Einheimischen ziemlich wurmt. Aber auch dort passiert was, immerhin der Kinderspielplatz mit einem echten Abenteuerschiff ist schon zu besuchen. Und einige besonders motivierte Touristen erkunden schon mal die Baustelle.

Das ganze Gebiet war zu Sowjetzeiten abgeriegelt und durch die Gleise der Güterbahn von der Stadt getrennt ... Wenn man das bedenkt, kann man spüren, wie eine abgewrackte und halb-vergessene Gegend aus dem Schlaf erwacht.

Irgendwann neulich hat auch die Ökoinsel (Ökosaar) im Fischerhafen angelegt. Auf einem Ponton steht ein roter London-Bus, er ist die Bar, rundherum dienen alte Kanister, Plastikplatten und Kabeltrommeln als Tische und Sitzgelegenheiten. Die Idee ist schnell verstanden, offenbar wurde die ganze Insel aus Recycling-Materialien zusammengezimmert. Kein schlechter Ort, um ein billiges Milchspeiseeis zu schlecken oder ein kühles Saku-Bier zu trinken!

Am allerbesten aber gefallen mir die neuen Liegeflächen am Fischerhafen. Der Kai ist dort an vielen Stellen halb ins Wasser gerutscht, die Betonplatten sind rissig und hängen schief Richtung Hafenbecken. Und was hat man vor einer Woche kurzerhand gemacht? Man hat diese Betonplatten mit schönen, gepflegten Holzplanken versehen, die Kanten sorgfältig an die Bruchstellen angepasst und so sind dort Liegeflächen entstanden, wie sie in einem neu eröffneten Freibad nicht besser zu finden wären. Ein perfekter Platz für Mädels, die gerade drei Monate Sommerferien haben.

Natürlich könnte man warten, ob sich der Fischerhafen irgendwann in ein romantisches Kleinod wie an der französischen Atlantikküste verwandelt, mit weiß getünchten Häusern, Segelmasten, die im Wind klappern, Restaurants und Bars, wo die Menschen abends entlang flanieren. Besser aber ist es, das zu nehmen, was jetzt schon da ist.

Jetzt das Beste aus dem machen, was wir haben! Darum geht es doch.



Dienstag, 10. Mai 2011

Ans Meer

Inmitten der Altstadt lässt sich das Meer vergessen. Die Speicherhäuser stehen stumm da, die Türen zu den Lagern bleiben geschlossen, an den Aufzügen werden keine Lasten mehr hochgezogen. Nur die Möwen, die zwischen den Kirchturmspitzen hin und her fliegen, erzählen davon, dass Tallin Hansestadt war, noch heute Hafenstadt ist.

Früher stieß Tallinn direkt hinter der Großen Strandpforte ans Meer. Am nördlichen Ende der Stadt bildete sie zusammen mit der „Dicken Margarete“ das Bollwerk für den Hafen. Bei Sturm, so ist es in den Ratsprotokollen festgehalten, klatschten die Wellen ans Tor. Im Laufe der Jahrhunderte verlandete die Gegend, wo einst Schiffe ankerten, lenkt heute eine sechsspurige Straße den Verkehr um die Stadt.

Jenseits davon soll der neu geschaffene Kulturkilometer die Bewohner Tallinns wieder ans Meer führen. Auf einer stillgelegten Eisenbahnstrecke zieht er sich durch ehemaliges sowjetisches Sperrgebiet vom Fährhafen zur alten Vorstadt Fischermaie. Industriebrache formt die Küste: Lagerhallen, verfallene Mauern, ausrangierte Schiffe. Aber ja, es ist Meer. Menschen sitzen auf Stufen und starren hinaus. Ein Kind sammelt Steine. Männer haben ihre Angeln ausgelegt.

Weiter östlich liegt der Fährhafen. Hinter den Verwaltungsgebäuden des Terminals sind die großen Schiffe kaum auszumachen. Es ist Nachmittag und kaum etwas los, ein paar müde Menschen mit Ziehköfferchen inspizieren das Warenangebot in einer kleinen Markthalle. Ich überquere wieder die Straße. Als wäre das der Beweis, signalisieren die Schilder: Die Wege aus Tallinn führen nach Tartu, Pärnu, Narva. Und nach Stockholm und Helsinki. Dann trete ich durch die Große Strandpforte zurück in die Stadt.